proGesundheit Ausgabe 11 - page 11

11
Dr. Michael Thomas Wittke
Schmerzübertra-
gungsmuster von
Triggerpunkten (XX)
im vorderen Teil des
Musculus gluteus mi-
nimus (lat. für „kleiner
Gesäßmuskel“).
Der Begriff „Ischias“ oder „Ischialgie“ be-
zeichnet eine vom Ischiasnerv ausgelöste
Beschwerdesymptomatik im Becken-Bein-
bereich. Meist ist der Auslöser eines echten
Ischiasschmerzes ein Bandscheibenvorfall
der unteren Lendenwirbelsäule. In der täg-
lichen Praxis ist dies jedoch eher selten der
Fall. Mittlerweile wird der Begriff „Ischias“
undifferenziert für die meisten Bein- und
Ausstrahlschmerzen ins Bein verwendet
und als auslösende Ursache werden ein
Bandscheibenvorfall oder andere Ver-
schleißerscheinungen an der Wirbelsäule
bzw. dem Hüftgelenk vermutet. Eine Kern-
spintomographie (MRT) trägt hierbei in
den meisten Fällen nicht zur Klärung bei,
da viele schmerzfreie Patienten ebenfalls
einen Bandscheibenvorfall imMRT aufwei-
sen.
Neben Bandscheibenvorfällen gibt es eine
Vielzahl möglicher Auslöser von Bein-
schmerzen, die weitaus häufiger ursächlich
für Schmerzen sind. Eine der häufigsten Ur-
sachen sind myofasziale Triggerpunkte in
der Gesäß- und Oberschenkelmuskulatur
sowie Funktionsstörungen des Beckens und
der Wirbelsäule. Patienten aller Alters- und
Berufsgruppen können hiervon betroffen
sein. Langes Sitzen im Auto, körperliche
Arbeit oder auch Freizeitsport wie Tennis,
Golf etc. können Auslöser für aktive Trigger-
punkte in der Muskulatur sein. Dauerhafte
Fehlsteuerungen der Muskelfunktion durch
unser Nervensystem auch ohne Vorliegen ei-
ner neurologischen Erkrankung unterhalten
vorhandene Triggerpunkte.
Stoßwellen und
Matrix-Rhythmus-Therapie
Oftmals bestehen bereits seit Jahren Funkti-
onsstörungen der Beckengelenke, die letzt-
lich zu einer anhaltenden Fehlbelastung und
Fehlsteuerung betroffener Muskeln geführt
haben. Aber auch der umgekehrte Weg ist
möglich: nicht sauber vom Nervensystem
angesteuerte Muskeln verursachen am Ge-
lenk Dysbalancen und Funktionsstörungen,
andere Muskeln reagieren darauf mit Ver-
kürzung und Verspannung durch aktive Trig-
gerpunkte. Um Triggerpunkte erfolgreich
behandeln zu können, müssen bestehende
Funktionsstörungen der Wirbelsäule und
des Beckens beseitigt werden. Gleichzeitig
kann es erforderlich sein, die betroffenen
Muskeln durch gezielte Übungen z. B. phy-
siotherapeutisch mit zu behandeln. Nicht
selten sind über Jahre hinweg gebildete
Muskeltriggerpunkte jedoch so hartnäckig,
dass zusätzlich eine Behandlung mittels fo-
kussierter Stoßwellen (Triggerpunktosteo-
praktik IGTM) und Matrix-Rhythmus-Thera-
pie durchgeführt werden muss.
Es gibt eine Vielzahl von Muskeln, die bei
Vorliegen von aktiven myofaszialen Trig-
gerpunkten Schmerzen im Gesäßbereich
auslösen können, die zusätzlich auch in das
Bein ziehen. Häufig werden solche Schmerz-
zustände auch ursächlich auf Hüftgelenks-
arthrosen zurückgeführt. Zwei besonders
häufig an solchen Schmerzgeschehen betei-
ligte Muskeln sind der Piriformismuskel und
der kleine Gesäßmuskel. Ein wesentliches
Symptom dieser aktiven Triggerpunkte sind
Schmerzen, die aus dem Beckenbereich mit-
unter in das gesamte Bein ausstrahlen. Oft ist
die Symptomatik begleitet von Kribbel- und
Taubheitsgefühl.
Funktionsstörungen im
Bewegungsapparat
Warum können Gelenkfunktionsstörungen
und von Triggerpunkten hervorgerufene
Beinschmerzen so hartnäckig sein? Ein we-
sentlicher Grund ist der Umstand, dass so-
wohl Funktionsstörungen der Wirbelsäule
und des Beckens als auch Triggerpunkte
über Monate bis Jahre hinweg bestehen
und vom Organismus kompensiert werden
können, also keine Beschwerden auslösen,
ehe durch äußere Bedingungen wie z. B. das
Anheben einer Kiste oder das Arbeiten im
Garten das Fass zum Überlaufen gebracht
wird und Schmerzen entstehen. Der Bewe-
gungsapparat hat sich über den Faktor Zeit
an die Funktionsstörungen angepasst, die
Fehlfunktion ist längst zum Normalzustand
geworden, ungünstige Bewegungsmuster
haben sich schleichend entwickelt. Durch
die jahrelange Fehlbelastung entwickeln sich
degenerative Veränderungen an den Gelen-
ken und Bandscheibenläsionen, die eben-
falls den Schmerz mit unterhalten können.
Durch konsequente Therapie der beschrie-
benen Funktionsstörungen durch hierauf
spezialisierte Orthopäden und Manualthe-
rapeuten können unter motiviertem Mit-
wirken des Patienten auch schwerwiegende
Beschwerden erfolgreich gelindert werden.
Das Erkennen sogenannter chronischer
Verletzungsmuster als eine übergeordnete
Ursache von myofaszi-
alen Dysbalancen
mit Ausbildung
von
aktiven
Triggerpunk-
ten sowie die
Behand l ung
mittels Injury-
Recall -Te ch -
nique nach Dr.
Becker
und
Dr.
Brunck
ist in meiner
Praxis ein in-
tegraler Be-
standteil der
u r s a c h e n ­
orientierten
Therapie von
P a t i e n t e n
mit
häufig
chronischen
Schmerzzu-
ständen.
Dr. Wittke,
Orthopäde
und
Unfallchirurg
Orthopädie
Beinschmerzen – Ischias oder aktive Triggerpunkte?
Foto: Roman Thomas
1...,2,3,4,5,6,7,8,9,10 12,13,14,15,16,17,18,19,20,21,...28
Powered by FlippingBook