proGesundheit Ausgabe 11 - page 3

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Zeit ist relativ – stellte der in Ulm geborene
Nobelpreisträger Albert Einstein vor knapp
100 Jahren fest. Imübertragenen Sinne kann
man diese Aussage auch auf die Lebenszeit,
das Lebensalter der Menschen anwenden.
Tatsächlich ist das Lebensalter eines Men-
schen heute weit weniger eine Festschrei-
bung auf soziale Erwartungen oder gesell-
schaftliche Möglichkeiten als noch vor 50
oder 30 Jahren. Auch der Blick auf die Ge-
sundheit der Menschen in den verschiede-
nen Lebensphasen hat sich in den letzten
Jahrzehnten deutlich gewandelt.
Bedeutung von Lebensalter
Die groben Einteilungen Kindheit – Jugend
– Erwachsenenalter sind leicht nachvollzieh-
bar. Aber dann wird es schwierig: Wann ist
ein Mensch „alt“? Mit Eintritt in die Rente? Mit
50, 60, 70? In den vergangenen 50 Jahren hat
sich die Lebenserwartung deutlich erhöht.
Lag die durchschnittliche Lebenserwartung
1950 für Frauen bei 68 Jahren und für Männer
bei knapp 64 Jahren, so wurden 2011 Frauen
im Durchschnitt 83 Jahre alt, Männer 78 Jah-
re. Wir leben heute nicht nur länger, sondern
auch länger bei guter Gesundheit. Veränderte
Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten, bes-
sere Ernährung, bessere Gesundheitsfürsorge
und nicht zuletzt die Selbstfürsorge tragen
dazu bei.
Alter ist relativ
Doch das Mehr an Jahren muss nicht unbe-
dingt etwas über die Gesundheit und das
Wohlbefinden, über die Leistungsfähigkeit
von Menschen aussagen. Man muss hier
nicht erst Jopi Heesters bemühen, der mit
100 Jahren noch auf der Bühne stand, oder
Luis Trenker, der mit 96 nochmal Vater wur-
de, sondern es reicht der Blick in den eigenen
Bekanntenkreis, wo etwa eine Freundin sich
zum 70. Geburtstag ein Klavier wünschte, um
sich endlich den Traum vom Klavierspielen zu
erfüllen. Andreas Kruse, Professor und Leiter
des gerontologischen Instituts der Universität
Heidelberg betont immer wieder, dass das ka-
lendarische Alter, die Lebensjahre allein keine
Aussage über die Leistungsfähigkeit erlauben.
„Manche Menschen sind mit 50 gealtert und
erschöpft, andere sind mit über 70 noch sehr
leistungsfähig“, betonte er bei einem Vortrag
zum „Europäischen Jahr des Alters“ in Hanno-
ver. Mittlerweile kann man bei verschiedenen
Anbietern das eigene „Lebensfeuer“ messen
lassen. Die Lebensfeuermessung ist zwar kei-
ne medizinische Diagnostik, gibt aber Auf-
schluss über Vitalität und Fitness, Gesundheit
und Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit und
letztlich über Lebensfreude, die mit einem vi-
talen Leben einher geht. Da ist es dann ganz
gleich, ob im Pass steht, man sei 40 oder 50,
solange das eigene Lebensgefühl stimmt.
Doch dafür kann man natürlich eine Menge
tun in Sachen innerer Einstellung, mentaler
Voraussetzungen und Gesundheitsvorsorge.
Kinderkrankheiten und Co.
Jedes Lebensalter hat seine speziellen ge-
sundheitlichen Herausforderungen. Doch die
klassischen „Kinderkrankheiten“ wie Röteln,
Masern oder Mumps können für Erwachse-
ne sehr gefährlich werden, wenn sie in der
Kindheit keine Abwehrkörper gebildet haben.
Kinderkrankheiten sind also entwicklungs-
physiologisch auch dazu da, für den Rest des
Lebens Antikörper gegen eben diese Erreger
zu bilden. Erwachsenen wird die Verantwor-
tung für ihre Gesundheit weitgehend selbst
übertragen. Durch gesundheitsförderliches
Verhalten, gesunde Ernährung, ausreichend
Bewegung, Enthaltsamkeit in Sachen Nikotin
und Alkohol, kann man den Körper bei der
Gesunderhaltung unterstützen. Doch auch
hier reagieren Menschen und ihre Körper sehr
individuell. Dass auch seelische Faktoren zur
Gesundheit gehören, ist längst bekannt. Es
ist also auch wichtig, für Wohlbefinden und
Ausgleich zu sorgen. Durch das medizinische
System können Krankheiten heute besser,
schneller und früher erkannt werden und so
auch besser therapiert oder geheilt werden.
Insgesamt ist ein gesellschaftlicher Werte-
wandel zu beobachten. Vielfach beginnt
heute die Gesundheitserziehung schon im
Kindergarten, der Hermannsburger Kneipp-
Kindergarten ist ein Beispiel dafür. Und auch
in der Grundschule wird Gesundheit gelehrt
und gelernt. Kinder erfahren früh, was ihrem
Körper gut tut und wie sie für ihre Gesundheit
sorgen können.
Bewusstsein für Medikamente
Bestimmte Krankheiten treten dann gehäuft
in der vierten Lebensphase auf. Auch hier hat
sich die Medizin des Alters, die Gerontologie,
in den letzten Jahren unter den Vorzeichen
des demografischen Wandels verändert.
Wechselwirkungen und Dosierungen von Me-
dikamentenwerden nicht nur demGeschlecht
der Patientinnen und Patienten angepasst,
sondern auch ihrem Lebensalter. Gerade
Mehrfacherkrankungen und die damit einher-
gehenden mehrfachen Medikamentengaben
sind ins Bewusstsein der Öffentlichkeit ge-
rückt. So hat etwa das Bundesministerium für
Bildung und Forschung eine eigene Broschü-
re herausgebracht, die unter dem Titel „Me-
dikamente im Alter“ Wirkstoffe zusammen-
getragen hat, die für Senioren ungeeignet
sind. Sie ist kostenlos herunter zu-laden unter
-
kamente_im_alter.pdf.
So hat jede Lebensphase zwar ihre ganz ei-
genen Gesundheitsthemen und spezifischen
Krankheiten. Das Lebensalter an sich ist aber
keine so klare soziale und körperliche Festle-
gung mehr, wie das noch vor ein paar Jahr-
zehnten der Fall war. Mehr Gesundheit, mehr
Vorsorge und Bewusstsein, mehr Vitalität und
mehr Freiheit könnte man die Entwicklung
zusammenfassen. Oder, um mit dem franzö-
sischen Mediziner und Biologen Alexis Carrel
(1873–1944) zu sprechen: „Es kommt nicht
darauf an, dem Leben mehr Jahre zu geben,
sondern den Jahren mehr Leben zu geben.“
Andrea Hoffmann
Lebenszeit, Lebensalter und Gesundheit
Titelthema
Foto: contrastwerkstatt
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